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message by Matthias (13.9.2019 20:14:12):
>>>>>>Vorbei die Zeiten etwas längerer Geschichten

>Matthias?

89, Sept., als mein Vater in Corps starb, war sie schon ausgezogen und wohnte in der Mainz gegenüberliegenden Stadt Wiesbaden in der Eleonorenstraße. Sie wollte nicht daß ich sie dort besuche und in der Nacht in der ich telefonisch vom Tod meines Vaters erfuhr rief ich sie an, sie hob nicht ab, ich fuhr zu ihrer Wohnung, sah Licht im ersten Stock hinter Fensterläden, klingelte, sie machte nicht auf, ich dachte, vielleicht ist die Klingel abgeschaltet, suchte nach einem Steinchen auf der Straße um es an die Rollläden zu werfen, fand keines, kramte in meinen Taschen, dort war nur ein Einwegfeuerzeug, dachte ich, dann werfe ich das hält, und ich warf und ich schwöre, das Ding explodierte mit einem kleinen Knall und einer kleinen Stichflamme direkt am Laden. Damit hatte ich keinesfalls gerechnet und bin gehörig selbst erschrocken, dachte an ihre Vorwürfe ich sei nicht mehr richtig im Kopf und daran daß wir beide schon eine krass gefährliche Blitzbombe nachts vor ein fahrendes Auto aus dem Fenster des Abstellraums raus auf die Avenue de l'Europe geschmissen hatten und heilfroh waren daß der Fahrer sich nicht zu Tode erschossen hatte, quietschend anhielt und eine geschlagene halbe Stunde am Seitenstreifen stand bevor er weiterfuhr. Jedenfalls rührte sich nichts hinter dem Laden, sie hatte offensichtlich Angst vor mir oder J. war zu Besuch.

Meine Eltern waren ja quasi auf dem Weg zu ihren Eltern und hätten von denen erfahren, daß wir getrennt sind. Das alleine schon hätte Papas Herzanfall auslösen können, war er doch per Kriegsgefangenschaftsfreundschaft eng mit ihrer Familie verbandelt geblieben die Jahrzehnte danach, fühlte sich immer in der Bringpflicht dem gesamten französischen Volk gegenüber und war wohl recht glücklich daß ich sie geheiratet hatte im Gegensatz zu Mutter die ihm ewig seinen Frankreichtik vorwarf. Immer mußte es dorthin in Urlaub gehen, sie hätte gerne auch andere Urlaubsorte kennengelernt. Für uns Kinder war diese zweite französische Familie bei der wir auf dem Hinweg ans Mittelmeer und dem Rückweg jedesmal einen eintägigen Zwischenstop einlegten eine schöne Erfahrung. Es gab jedesmal die gleiche dicke Nudelsuppe am Ankunftsabend nach neunhundert Kilometern in der Ente mit vier Kindern und Urlaubsgepäck samt Flossen und Taucherbrillen für vier Wochen, und zum Frühstück Weißbrot, leicht ranzige Butter, ich dachte immer, so riecht die Butter in Frankreich, und Bitterschokolade, aus der auch der Kakao gemacht wurde. Und nach der Nudelsuppe gab es Lapin provencal, Hase in Tomatensauce mit Thymian.

Jedenfalls wäre es ein Schock für Vater gewesen von unserer Trennung zu erfahren, und dann noch von ihren Eltern, und da ist er quasi rechtzeitig ganz kurz vor der Ankunft bei ihnen gestorben. Natürlich wäre da auch herausgekommen daß sein Herr Sohn mit achtundzwamzig Jahren sich nun dem Haschischrauchen hingab statt um seine Ehe zu kämpfen.

Ich fing dann auch noch an Nietzsche zu lesen, den Zarathustra, und geriet plötzlich in seltsame Zustände weil ich dort den Gedanken der ewigen Wiederkehr beschrieben sah, den ich selbst oft gedacht hatte, rein mathematisch, bei unendlicher Zeit und der Gültigkeit der Äquivalenz vom Masse und Energie und deren beständige Umwandlung ineinander und bei Durchmischung aller Atome, immer wieder der Mensch und die Erde entstünde, wohl erst nach ungezählten Wiederholungen der gleiche Mensch und die gleiche Erde und an dem Gedanken kann man echt irre werden, weil er bedeuten würde, sofort nach dem Tod, objektiv vergehen Myriaden Jahre, aber subjektiv keine Sekunde, wachst du erneut auf und bist da. Dann habe ich mir die Chloroformflasche oben vom Küchenschrank geholt und mir ordentlich die Kante gegeben. Ich hab das einfach gebraucht. Nix war in dem Moment besser als das. Noch sieben Mal tief einatmen und mit jedem Zug sinkst du tiefer und bis zum letzen kleinen Fünkchen vor dem inneren Auge bist du geistig voll da und alles ist gut und jeder darf deine Geheimnisse kennen. Du bist nicht böse.



   

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