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on Dec 27th 2004, 11:58:42, 0621-4302754 wrote the following about

war

1.1.1 Projektbeschreibung „Der Narr ist der Held“

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Uhrheberrechtlich geschützt
Von Henrik zimmer & G.&K.Kelm


1.1.1.1 Kurze Inhaltsangabe
Offen und ohne Tabus werden in dieser Biografie das Leben, die Gefühle, die Gedanken und die Entwicklung eines heute 36-jährigen Mannes geschildert., der mit einem Borderlinesyndrom und ADHS erkrankt ist
Der Vater ist als Fernfahrer ständig außer Haus. Die Mutter ist mit dem Sprössling, der schon im Kleinkindalter starke Verhaltensauffälligkeiten zeigt, völlig überfordert. Weil sie schließlich keinen Ausweg mehr sieht, beantragt sie für ihren achtjährigen Sohn freiwillige Erziehungshilfe und der sensible Junge findet sich in einem Heim für antiautoritäre Erziehung wieder. Das Gefühl, von Mutter und Vater nicht gewollt zu werden, trifft das Kind hart, das stets versucht dem Vater nachzueifern und der Mutter gerecht zu werden. Der kalte Krieg und andere zeitgeschichtliche Ereignisse erschüttern zudem die zerbrechliche Psyche des Jungen. Auf der Suche nach Geborgenheit, Liebe und Verständnis bei Ersatzfiguren gewinnt er die bittere Erkenntnis, dass nur materielle oder sexuelle Interessen der Erwachsenen der Grund für geheuchelte Zuneigung sind. Immer wieder wird der Junge aus der Beständigkeit gerissen und von Bezugspersonen getrennt.
Ein derartiger Schmerz muss zum Ausdruck gebracht werden. Als Folge bestimmen Gedanken der Zerstörung und die Angst, nie den 18. Geburtstag zu erleben, sein Verhalten. Mit neun Jahren scheint die Situation zu eskalieren: Kleptomanie, Autofahren ohne Führerschein und Brandstiftung bedingen die Einweisung in die Kinderpsychiatrie. Mit 12 Jahren folgt der Wechsel in ein autoritäres Kinderheim. Seine erste große Liebe lernt er mit 14 kennen, doch ihr Vater duldet kein Heimkind und zwingt seine Tochter die Beziehung zu beenden. Dieser Verlust ist unerträglich und nur fahren kann den Schmerz lindern. Nachdem er einen LKW gestohlen hat, lässt er diesen in das Haus des Heimleiters fahren. Statt der dringend benötigten psychologischen Hilfe, sind 2 Jahre Jugendgefängnis in der Hochphase der Pubertät das Ergebnis dieses Vorfalls. In jenem gewalttätigem Umfeld entwickeln sich beängstigende Sexualphantasien. Als er mit 16 entlassen wird, nehmen ihn weder seine Mutter noch sein altes Heim wieder auf. Von der Gesellschaft zum Kriminellen abgestempelt, findet er Anschluss unter „seinesgleichen“. Gedanken über einen Amoklauf drängen sich auf.
Existenzprobleme, Eigentumsdelikte, Flucht, Verfolgungsangst, Schlaflosigkeit, die unglückliche Ehe mit einer Frau und Wahnsinn bestimmen die nachfolgenden Jahre. Konflikte mit dem Gesetz sind unausweichlich und am Ende steht als einziger Ausweg die Fremdenlegion. Aus der Legion vorzeitig entlassen und kaum nach Deutschland zurückgekehrt, wird der Aufenthaltsort von der eigenen Familie an die Polizei verraten. Erneut schlägt die Justiz gnadenlos zu. Während der folgenden Haftzeit beherrscht die Untreue seiner Ehefrau die Gedanken.
Nach der Entlassung beginnt ein neues, aber noch härteres Leben. Eine weitere Frau tritt in das Leben und mit ihr auch Heroin. Sucht und Beschaffungskriminalität rücken in den Mittelpunkt, doch die Droge dient nicht zur sinnlosen Berauschung, sondern unterbewusst zur Selbstmedikation, da sie das empfundene Leid der psychischen Störung reduziert. Als die Drogenbeziehung zerbricht stützt sich die letzte Hoffnung eines Neuanfangs auf die Flucht ins Ausland. Wiederholte Versuche, auf dem spanischen Festland und den Kanarischen Inseln wieder Fuß im Leben zu fassen, schlagen fehl. Außerdem zwingt ein schwerer Unfall zur Rückkehr nach Deutschland. Nach einem Jahr Drogentherapie im Maßregelvollzug beginnt ein angepasster, aber leidvoller Alltag. Trotz größter Anstrengungen steht am Ende wieder die Psychiatrie. Erst 2004 wird eine Schizophrenie diagnostiziert, die wohl schon seit frühester Kindheit für das Verhalten des Protagonisten bestimmend war. Diese Erkenntnis hätte eine weitere tiefe Lebenskrise ausgelöst, wäre es nicht zu jener schicksalhaften Begegnung gekommen, die zur Niederschrift dieser Biografie führt. Das lange ersehnte Verständnis der Gesellschaft für die eigene Situation rückt ebenso in greifbare Nähe, wie die Erfüllung des Wunsches, endlich ein menschenwürdigen Dasein führen zu können.


1.1.1.1.1 Aussage des Buches

Diese Biografie ist ein Aufruf an die Gesellschaft, Menschen, die nicht in die Norm passen, nicht auszustoßen und ihnen Hilfe zu gewähren. Mitglieder unserer Gesellschaft mit Vorbildfunktion wie Richter und Ärzte sind allzu oft auf ihren Status bedacht und hinterfragen aus Mangel an Interesse nicht wirklich die Ursachen für das Verhalten von Personen über die sie ein Urteil abgeben sollen. Derartige Fehleinschätzungen führen dann häufig zu noch schwereren psychischen Problemen, zu Isolierung und zur Kriminalisierung der Betroffenen. Der Einfluss der Medien leistet einen nicht unerheblichen Beitrag zu dieser Entwicklung in unserer Gesellschaft.
Im vorliegenden Fall wird der im Stich gelassene schon seit seiner Kindheit zu Unrecht als Unruhestifter, Delinquent, Arbeitsfauler und Krimineller gebrandmarkt und das nur, weil sich bis vor kurzem niemand die Mühe machte, den Grund für sein Verhalten ausfindig zu machen. Selbst die schon in der Kindheit bekannte Hyperaktivität wurde nie richtig behandelt. Wäre die heute diagnostizierte Schizophrenie schon im Kindesalter erkannt worden, hätte dieser Person vieles im Leben erspart bleiben können. Ein nicht unerheblicher Schaden ist auch für die Gesellschaft entstanden, die sich mit der Zurückweisung des Protagonisten gewissermaßen selbst ein Bein gestellt und dazu beigetragen hat, dass ein Teil ihres Egoismus auf sie zurückgefallen ist. Umso erstaunlicher ist es, dass die zentrale Gestalt dieser Biografie trotz andauernder Ungerechtigkeiten gegen ihre eigene Person, ein hohes Maß an Moral und Menschlichkeit bewahrt hat und unermüdlich gegen die in ihr aufsteigenden Aggressionen ankämpft.


Fazit
Psychische Krankheiten wie die Schizophrenie werden selbst heute immer noch viel zu lange verkannt. Die Betroffenen sind dem Prozess der sozialen Stigmatisierung ausgesetzt. Das Unverständnis unserer blinden Gesellschaft führt zu psychischer und physischer Folter der Betroffenen, die den Ansichten der sogenannten „normalen“ Leute hilflos ausgeliefert sind. Schonungslos sollen daher die unglaubliche Härte der Realität und die sozialen Ungerechtigkeiten aufgezeigt werden. Somit soll das Buch auch die Sensibilität der Menschen für ihre eigene und die Psyche anderer erhöhen, für mehr Verständnis für das Leid von Menschen am Rande der Gesellschaft.
Die Erniedrigung von scheinbaren Außenseitern, sowie Diskriminierung, falsche Schuldzuweisungen, Ausgrenzung und Diffamierung erzeugen und fördern aggressive Tendenzen. Hier werden Antworten auf Fragen deutlich, wie und warum scheinbar sinnlose Gewalt- und Sexualverbrechen in den Köpfen von Menschen ersonnen werden. Da der Held des Buches tiefe Einblicke in die Phantasien solcher Täter erlangte, kann ein zukünftiger Beitrag zur Verhinderung von Gewaltverbrechen geleistet werden.
Niemals zuvor wurde die Gedankenwelt eines psychisch Kranken derart persönlich und direkt aus der Sicht des Betroffenen geschildert und schriftlich festgehalten. Zahlreiche Zeitzeugen komplettieren die Erzählungen. Der Protagonist spricht auch für all diejenigen, die niemand sieht und hört, weil sie keine Chance haben sich bemerkbar zu machen, sei es, weil sie eingesperrt, ruhig gestellt oder vereinsamt sind oder weil sie schon in den Suizid getrieben wurden.
Am Ende steht die Erkenntnis, dass das eigene Leben das Produkt der Unverständnis der Gesellschaft ist und die empfangene Ungerechtigkeit soll zum Ausdruck gebracht werden. Der Amok wäre eine Lösung, aber keine, die dem Protagonisten entspricht. Sein Weg ist die Niederschrift seines Lebens, die Veränderung durch Verständnis bewirken soll.
Das Buch soll die Menschen wachrütteln und ihnen die Augen für gesellschaftliche Probleme unserer Zeit öffnen, vor denen sie bisher ihre Augen verschlossen haben.


Während sich nach den Unterrichtsstunden unsere Betreuerin Frau Rauch mit den anderen Kindern aus meiner Gruppe beschäftigte, turnte ich am liebsten auf dem drei Meter hohen, fast bis zur Decke ragenden Holzgerüst herum, das zum Spielen in einer Nische im Flur aufgestellt war. Wie viele damals gehörte auch sie zu den politisch links angehauchten, aber dessen ungeachtet, konnte ich sie wegen ihrer erzieherischen Kompetenz und menschlich angenehmen Art sehr gut leiden. Als jedoch in den 70er Jahren die Angst vor einer linken Welle umging, wurden alle des Lehramtes enthoben, die die KPD wählten, obwohl sich unter ihnen oftmals die besten Pädagogen befanden. Für mich bedeutete die Entlassung von Frau Rauch einmal mehr einen großen Verlust, den ich verkraften musste.
In dieser Gruppe hätte ich viel über mich lernen können. Ich weiß nicht, ob sie meine psychischen Störungen erkannt hatte, aber sie verstand es, mir mein oftmals seltsam anmutendes Verhalten auf eine Weise vor Augen zu führen, die es mir ermöglichte meine Handlungen zu verstehen. Auf diese Hilfe von außen, die ich sonst von niemandem erfuhr, war ich dringend angewiesen, denn mir selbst fehlte die Fähigkeit zu sehen, wie ich in meinem Umfeld agierte. Einmal zum Beispiel saß ich heulend auf meinem Mitschüler Theo Schlosser, presste ihm meine Knie in seine Oberarme und ohrfeigte ihn. Da ich keine Anstalten machte, von ihm abzulassen, setzte sie sich neben uns, anstatt mich sofort von ihm herunterzuzerren und fragte mich, ob ich überhaupt wüsste, warum ich ihn verhauen würde. Sein Vater, einer dieser verrückten Polizisten, die immer mit der Pistole unter dem Kopfkissen schlafen, wollte ihn von der Schule nehmen. Die Erzieherin erklärte mir, dass ich ihn nur schlug, weil ich ihn gern hatte und nicht wollte, dass er mich verlässt.
Eines Nachmittags baute ich mir oben auf dem Klettergestell aus Umzugskartons einen Turm und damit mir mehr Platz für meine Konstruktion zur Verfügung stand, legte ich einen dicken Karton aus, der einen Meter über die Gerüstkante hinausragte. Bei der Errichtung der Außenmauern musste ich mich zum Rand des vorstehenden Kartons vorwagen, wobei dieser plötzlich unerwartet abknickte und ich kopfüber in die Tiefe stürzte. Instinktiv versuchte ich den Aufprall mit meinen Händen abzufangen, doch beide Handgelenke brachen, weil sie dem durch den Fall beschleunigten Körpergewicht nicht standhalten konnten und ich schlug mit voller Wucht mit dem Kopf auf den Boden auf.
Die Schmerzen waren unerträglich und ich schrie wie am Spieß. Herr Hobel, der Erzieher der anderen Gruppe im Flur, wollte mich sofort in das Krankenhaus im Nordwestzentrum bringen, das nicht weit entfernt lag. Er gehörte auch jenen Linken an, denen später gekündigt wurde und als er beabsichtigte mich auf den Arm zu nehmen und zum Auto zu tragen, überfiel mich eine merkwürdige Todesangst. Ich glaubte, er würde mich in den Kofferraum sperren und zu einer Müllkippe fahren, um mich dort zu töten und zu verscharren.
Diese Gefühle spiegelten absolut die Realität für mich wieder und meine Furchtsamkeit entbehrte auch nicht völlig jedweder Grundlage, denn zum einen wollte mich bereits meine Mutter mit vier Jahren mit einem Löffel Mehl umbringen und zum anderen war ich oft frech zu den Erziehern. Die Beleidigungen, die ich ihnen gegenüber aussprach, lernte ich zum Grossteil erst in dieser Schule, denn im Hermann-Lubbe Heim wurden ausschließlich verhaltensgestörte Kinder, meist aus sozial schwachen Familien unterrichtet, die jede Menge Schimpfwörter kannten. Zum Anführer der verrückten Meute hatte sich ein älterer Junge namens Heinrich Fürst aufgeschwungen, mit dem sich meine Wege drei Jahre später im Wiesbadener Kinderheim erneut kreuzen sollten.
Die männlichen Erzieher beschimpfte ich vorzugsweise als „Schwuler!“, „Penner!“ und „Arschficker!“, Frauen titulierte ich entsprechend mit „Hure!“ und „Fotze!“ Da lag der Gedanke nicht fern, dass mich einige Lehrer bestimmt gerne losgehabt hätten: „Jetzt sind meine Arme gebrochen, da können sie sich an mir rächen.“ Vielleicht wollte er mich in Wahrheit auch töten und traute sich bloß nicht. Jedenfalls schrie ich vor lauter Panik noch mehr und weigerte mich, getragen zu werden: „Nein, ich will nicht! Ich laufe zum Auto.“
Im Krankenhaus wurden meine Arme geröntgt und ausgerichtet und ich bekam einen Schalengips verpasst, der bis vorne zu den Fingern reichte. Die ganze Zeit über heulte ich, weil ich fix und fertig war, doch der Arzt behandelte mich wie einen Erwachsenen und nicht wie das verängstigte kleine Kind, das ihm gegenübersaß. Zwei gebrochene Handgelenke zu haben war für mich schon schlimm genug und ich hätte gut auf seinen ärztlichen Rat verzichten können: „Wenn dir das noch mal passiert, dann bleiben die Gelenke für immer steif.“ Bald darauf holte mich meine Mutter ab und beim Verlassen steckte mir eine Krankenschwester geistesgegenwärtig meine Armbanduhr in die Hosentasche.
Mit den eingegipsten Armen war ich völlig wehrlos als ich nach einer Ruhewoche zu Hause wieder zurück in die Schule musste und die anderen Kinder hatten nun noch mehr als sonst ihren Spaß daran, mich zu quälen. Sie lauerten mir auf, banden mich an einen Baum und peitschten meine Beine mit langen Weidenruten aus, was höllisch schmerzte. Da sie mich immer nur zu mehreren angriffen, hatte ich nie eine Chance, mich erfolgreich gegen diese Übermacht zu wehren.
In diesen Tagen unternahmen wir zudem eine Klassenwanderung und spazierten am Fluss Nidda entlang. Dabei ärgerten mich wieder zwei und versuchten mir Glauben zu machen, sie wollten mich in den Fluss schmeißen, zumindest wären sie verhaltensgestört genug gewesen, um es zu tun. Die Erzieher liefen weit voraus und bei einem unglücklichen Sturz hätte es ein schlimmes Ende nehmen können. Da mir niemand zu Hilfe kam, geriet ich in Panik und rastete aus. Mir blieb keine andere Möglichkeit, als mit meinem eingegipsten Arm auszuholen und einer von beiden bekam ihn mit voller Härte ins Gesicht. Seitdem fassten sie mich nicht mehr an.
Es fällt mir schwer zu erzählen, dass ich gequält wurde und nichts dagegen tun konnte, weil ich stets auf mich alleine gestellt war. Andere Kinder trieben immer so lange ihre Späße mit mir, bis ich richtig austickte und dann hatte ich wieder eine Zeit lang meine Ruhe. Vor allem erschreckte mich die Tatsache, dass man seinen Mitmenschen scheinbar erst den Schädel einschlagen muss, bevor sie einem den nötigen Respekt zollen. Das kann nicht richtig sein und das ist nicht meine Art, aber ich wurde im Laufe meines Lebens wiederholt regelrecht zu diesem Verhalten gezwungen.

Was mir in den Alpujarras in Spanien passierte, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Ich habe verschiedene Vermutungen, aber das Geheimnis wird wohl nie gelüftet werden.
Mit Anna zusammen hatte ich mir ein Haus gemietet, in dem wir dahinvegetierten. Es stand auf dem einzigen Hügel, mitten im Tal von El Morion, wodurch wir die komplette Umgebung beobachten konnten und jederzeit wussten, wer sich in der Gegend aufhielt. Die Häuser in diesem Gebiet standen alle leer, weil die Schweden es mit dem Uranabbau übertrieben hatten und viele Leute an Lungenkrebs gestorben waren. Keiner wollte mehr dorthin ziehen, jedoch ermöglichte das spanische Gesetz, dass sich jeder ein Haus auf seinen Namen eintragen lassen konnte, wenn es zehn Jahre lang leer stand und niemand mehr Besitzansprüche anmeldete. Dieses einfache Verfahren kostete lediglich ein paar Peseten und nachdem sich das herumgesprochen hatte, dachten sich viele Hippies: „Geile Gesetzgebung!“ und reisten scharenweise mit ihren Bussen an. Auf diese Weise sicherten sich viele ein Häuschen oder eine Ruine, die sie wieder aufbauten. Da die Grundmauern noch standen, benötigten sie auch keine neuen Baugenehmigungen. Die einzige Bedingung war, wieder den Originalzustand herzustellen, doch wenn das Haus am Ende 100 Quadratmeter mehr hatte, interessierte das keinen Menschen.
Es war wieder einer jener schwülen Tage im September, an dem wir inmitten dieser Wüste saßen und nicht wussten, was wir unternehmen sollten. Lohnende Ausflugsziele sucht man in der steinigen Gegend vergebenes und die einzige Vegetation besteht aus Kakteen, von den man sich besser fernhält, denn die sind nicht gerade der beste Freund des Menschen. Eine negative Bekanntschaft machte ich mit diesen wirklich leckeren Kaktusfrüchte, die mit unzähligen, kaum sichtbaren, Stacheln übersäht sind. Ich kannte die Früchte vorher nur aus dem Supermarkt, wo die Stacheln bereits entfernt sind und als ich mir eine in der freien Natur abbrach, hatte ich die Hand voller Stacheln und alles entzündete sich und eiterte. Bei den hygienischen Bedingungen, die dort herrschen, muss man mit so etwas sehr vorsichtig sein. Da draußen gibt es noch nicht mal Toiletten und zum Verrichten der Notdurft gräbt sich jeder sein eigenes Loch, damit nicht irgendwann alles verseucht ist.

Der Mensch verursacht den größten Dreck. Pisse könnte ich stark verdünnt als Konzentrat zum Düngen verkaufen, aber eigentlich müsste ich mit Dixi einen Vertrag abschließen, damit sie die ganze Scheiße abnehmen und als getrockneten Dünger auf den Markt bringen. Ein Teelöffel auf 10 Liter Wasser und den Pflanzen ginge es prächtig. Das hat noch keiner probiert.

Vom Helmut hatte ich einen alten Opel Kadett geschenkt bekommen, mit dem wir nach Spanien fuhren. Das war eigentlich ein Schrottauto, ein übles Teil, das bei Geschwindigkeiten über 120 anfing, Öl zu verbrennen und wie verrückt qualmte, aber er lief. Früher baute Opel die robustesten Wagen, wie es heute aussieht, weiß ich nicht und ich will keine Werbung machen. Wir beabsichtigten am besagten Tag einfach ein bisschen ohne Ziel herumzufahren, denn beim Fahren passierte meiner Erfahrung nach immer etwas.
Auf der Strecke von Orgiva nach Lanjaron hielten wir unterwegs an einer Weinbodega, die es heute seltsamerweise gar nicht mehr gibt, so als hätte sie nur an jenem Tag existiert. Dieses alte Weingeschäft mit seinem unheimlichen Besitzer und den verstaubten Flaschen kam mir von Anfang an mysteriös vor. Ich ging auf den Mann hinter der Theke zu und wollte ihn nach einer Flasche billigen Weines fragen, als er mir auch schon eine sehr alte und mit Wachs versiegelte Flasche in die Hand drückte. Er verlangte nicht mehr als 500 Peseten, obwohl man für diesen Preis vielleicht einen guten Wein im Supermarkt findet, aber dieser war wirklich alt und selten. Allen Flaschen in der Bodega konnte ich bereits an den Etiketten ansehen, dass es sich nicht um industriell hergestellte Weine handelte, sondern ausnahmslos um ganz besondere Tropfen.
Damals registrierte ich diese Umstände gar nicht richtig, denn aus Rotwein mache ich mir normalerweise nicht viel und ich wollte bloß, entgegen meinem eigentlichen Naturell, ein wenig romantisch sein. Obwohl es bereits drei oder vier Uhr nachmittags sein musste, schien die Sonne noch sehr heiß von oben herab, als wir von der Bodega aus auf einer uns unbekannten Strecke in die Berge fuhren und dabei die ersten Schlucke Rotwein genossen. Die Strecke war von mir gewählt worden, um den Ausflug interessanter zu gestalten.
Typischerweise fingen wir nach kurzer Zeit an uns zu streiten. Ich weiß gar nicht mehr, worum es ging, nur, dass wir eine ziemlich heftige Auseinandersetzung hatten und ich vor Frust anfing Rallye zu fahren, wie ich es oft tat, wenn ich mich mit einer Frau stritt und sie einschüchtern wollte. Dadurch wollte ich ihnen zu zeigen, was es bedeutet zu sterben. Mit Tempo 100 raste ich über die schmalen Gebirgsstraßen, als Anna in Panik versuchte aus dem Auto zu springen und ich sie festhalten musste, damit sie ihr Vorhaben nicht in die Tat umsetzen konnte. Erst da merkte ich, dass es für sie kein Spaß mehr war und sie Todesängste ausstand. Meine äußerst aggressive Fahrweise hätte uns in der Tat das Leben kosten können, da es keine Leitplanken gab und ich so dicht am Straßenrand entlang fuhr, dass von dort Steine abbröckelten und den Abgrund hinunterrollten. Genau in dieser gefährlichen Situation hatte ich plötzlich einen Filmriss.
Als ich wieder wach wurde, war es bereits dunkel und ich fühlte harten, steinigen Untergrund unter mir. Ich lag splitternackt auf dem Boden und hielt die Harpune in der Hand, die ich mir in Spanien gekauft hatte. Die Zugkraft des Abzuggummis reichte aus, um den Stahlpfeil ohne weiteres 40 Meter weit zu schießen und sogar dicke Kakteen ohne Mühe zu durchschlagen. Wahrscheinlich hätte man damit auch Wildschweine erlegen können.
Völlige Finsternis umhüllte mich, weil Wolken den Mond bedeckten. Erst nach einigen Minuten gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich konnte schemenhaft Konturen erkennen. Mir fiel auf, dass mein Auto nicht in der näheren Umgebung stand und außerdem nahm ich einen stechenden Schmerz am rechten Bein wahr, aber im Dunkeln konnte ich lediglich etwas Warmes und Feuchtes spüren, was mich vermuten ließ, dass Blut am Bein hinunterlief. Mir blieb nichts anderes übrig, als diese Tatsache zunächst zu verdrängen, da es vorrangig galt mich zu orientieren.
Im nächsten Moment hatte ich einen weiteren Black Out und ich habe keine Ahnung wie lange es dauerte, bis ich erneut erwachte. Erschrocken stellte ich fest, dass der Pfeil der Harpune weg war und ich bekam es mit der Angst zu tun, denn mir schoss blitzartig der Gedanke durch den Kopf: „Wo ist überhaupt meine Freundin? Habe ich die vielleicht kalt gemacht?“
Weil ich beim besten Willen keine Erklärung dafür fand wie ich an jenen Ort gelangt war, versuchte ich mich so weit wie möglich zurückzuerinnern. Anfangs herrschte nur Leere in meinem Kopf, bis langsam Bilder von unserem Streit und meiner aggressiven Fahrweise in mir hochkamen, aber an mehr konnte ich mich nicht entsinnen. Gleich darauf überfiel mich wieder die Angst, dass ich unter Umständen doch meine Freundin getötet habe könnte. In dieser einer Situation musste ich mit dem Schlimmsten rechnen und das war ein sehr beklemmendes Gefühl.
Das Schrecklichste, das mir jemals hätte passieren können, wäre, einen Mord begangen zu haben und hinterher nichts mehr davon zu wissen. In solchen Fällen wird man entweder zu lebenslänglich verurteilt oder aufgrund eines psychologischen Gutachtens für unzurechnungsfähig erklärt und für alle Ewigkeit zu Irren weggesperrt.
Bei jedem Schritt, mit dem ich die Gegend erkundete, schmerzten meine Füße, weil ich keine Schuhe an hatte und der Boden mit kleinen Steinen gespickt war. Mein Glück war es, dass der Untergrund in den spanischen Bergen sehr hell ist und die Steine wenigstens ein bisschen das Sternenlicht reflektierten. Das reichte aus, um nicht verrückt zu werden. Ein Handy, um jemanden anzurufen, besaß ich auch nicht, aber das war eine sehr interessante Erfahrung, in beinahe vollkommener Dunkelheit durch ein unbekanntes Areal zu stolpern. Schließlich fiel mir auf, dass ich mich mitten in den Bergen aufhielt und in der Richtung, für die ich mich entschieden hatte, gelangte ich nach einer Weile an einen Weinberg, wo ich kiloweise Trauben in mich hineinschlang, da ich solchen Durst vom Rotwein hatte. Mein Mund fühlte sich nach dem Erwachen an, als hätte ich Haare im Mund gehabt und es gab weit und breit keine Flüssigkeit, außer diesen Weintrauben.
Nachdem ich ungefähr 100 Meter entlang dieses Anbaugebietes entlang gelaufen war, erspähte ich in der Ferne eine Lichtquelle. Während der gesamten Zeit fühlte ich mich noch immer benebelt, was nicht von der geringen Menge Wein kommen konnte, denn in meiner härtesten Drogenzeit in Deutschland konsumierte ich jeden Tag fünf Gramm Heroin und Rohypnol ohne Ende, eine Dosis, die die meisten Menschen umgebracht hätte. Doch in diesen Tagen nahm ich keine Drogen, zog nicht mal an einem Joint.
Als ich das Licht in der Ferne sah, dachte ich mir: „Ein Haus, da ist ein Haus.“ Es handelte sich um ein ganz schwaches Licht und da wurde mir bewusst, dass es in den Bergen keinen Strom gab, außer vielleicht mit Hilfe von Batterien oder Generatoren. Fünf Meter vor dem Objekt konnte ich immer noch nicht ausmachen, um was es sich handelte. Selbst als ich einige Male um das Ding herumlief und genauer inspizierte, dauerte es komischerweise ein paar Sekunden, bis ich es als ein Auto identifizieren konnte. Innen brannte Licht, weil die Tür einen Spalt offen stand und ich bückte mich und starrte wie gebannt auf das Kennzeichen, WI-NT 902. Das war mein Auto, vor dem ich kniete.
Auf der anderen Seite bemerkte ich, dass das Auto an einem Abgrund parkte und gar kein richtiger Weg mehr vorhanden war, sondern nur noch Schotter. Das muss der letzte Winkel des Weinbauern gewesen sein, wo er ab und zu mit seinem Traktor entlang fuhr. In Spanien ist das nicht wie bei den Winzern in Deutschland, bei denen alles plan und schön gleichmäßig im Winkel angelegt ist und seine Ordnung hat. Dort wächst alles wild und trotzdem gedeihen gute Sorten.
Am rechten Vorderrad fehlte der komplette Mantel und ich musste auf der Felge bis hierher gefahren sein, denn der Tank war völlig leergefahren. Mysteriöserweise stand der Wagen exakt an dem Punkt, an dem der Weg auslief und es steil den Hang hinunterging. Für Sprit besaß ich immer ein gutes Gefühl, weil ich meist nicht genug Geld hatte, um voll zu tanken. Oft fuhr ich bis zum letzten Tropfen und deswegen wusste ich exakt, wie viele Kilometer ich mit welchem Auto fahren konnte, bis mir das Benzin ausging. Warum war ich also genau bis zu diesem Punkt gefahren?
Beim Öffnen der hinteren Tür sah ich auf dem Rücksitz meine Kleider liegen, die ich zuvor getragen hatte, fein säuberlich zusammengelegt und oben auf dem zu einer Pyramide aufgestapelten Haufen lag mein Portemonnaie. Auf diese Weise konnte ich überhaupt keine Kleider zusammenlegen und selbst wenn ich es könnte, warum hätte ich das tun sollen? Da müsste ich wirklich eine multiple Persönlichkeitsstörung vom allerfeinsten haben. Ich bin eher ein Typ, der seine Klamotten wegschmeißt.
Meine Freundin blieb jedoch weiterhin verschwunden, was nicht gerade zu meiner Beruhigung beitrug. Um einen klaren Kopf zu bekommen, legte ich mich auf die Rücksitzbank und versuchte ein wenig Schlaf zu finden, vielleicht würde mir ja später wieder einfallen, wo sie sein konnte. An Schlaf war dennoch nicht zu denken, weil ich vorher wohl einige Stunden bewusstlos dalag, in denen mein Körper ruhte und aufgrund der Eindrücke über die geheimnisvollen Geschehnisse war ich hellwach. Zudem nagte die Ungewissheit über Annas Verbleiben ununterbrochen an mir.
Am nächsten Morgen wurde es sehr schnell heiß und ein den Umständen entsprechend unangenehmer Tag. Ich hatte mich dafür entschieden, dem eingefahrenen Weg zu folgen, auf dem ich hierher gekommen sein musste. Insgesamt legte ich acht Kilometer zurück, bis ich schließlich an ein Dorf gelangte. Dort sprach ich das erste Mal bewusst Spanisch. Ich wunderte mich, dass ich ohne Probleme fragen konnte, wo ein Taxi zu finden sei, denn es war mir gar nicht klar, dass ich das vorher irgendwie gelernt hatte, aber in Ausnahmesituationen kommt oftmals zum Vorschein, was seit längerem bereits in einem steckte.
So etwas wie dieses Provinzdorf hatte ich nie zuvor gesehen. Dort gab es nichts, erst recht kein Taxi und ich sah mich gezwungen zu Fuß weiterzugehen. Ohne Auto sind die Wege in Spanien unendlich lang und ich glaubte, ich müsste verdursten, als ich weitere acht Kilometer durch die Berge stolperte, bevor ich eine Hauptstraße erreichte. Von dort aus trampte ich in die nächste Stadt, ungefähr 60 Kilometer von meinem Ausgangspunkt entfernt.
Anschließend suchte ich Renate auf und erzählte ihr meine Geschichte. Die erste Reaktion darauf war: „Ja, ja, was du mir erzählst!“ Sie dachte natürlich, ich hätte mir einen Trip geschmissen, wie das bei den Hippies Gang und Gebe ist, Pilze und andere Halluzinogene zu essen. Dabei hatte ich mit diesen Hippies meine Probleme, weil sie sich allein durch ihren Uniformismus identifizieren und sich vormachten dadurch Hippies zu sein, indem sie sich nicht mehr wuschen uns sich Rasterlocken wachsen ließen. Mit den ursprünglichen Idealen haben sie nichts mehr gemein haben, da bin ich zehnmal mehr Hippie, auch wenn ich ein Polo-Hemd oder einen Anzug trage, denn es ist die Einstellung, auf die es ankommt. Eigentlich müsste ich toleranter sein und nicht so schlecht über andere Menschen reden, denn ich erwarte auch, dass man mich versteht. Ich bin ungerecht, aber scheiß drauf, alles auf dieser Welt ist ungerecht.
Auf meine Frage: „Wo ist die Anna?“, gab mir Renate zur Antwort, dass sie es nicht wüsste und im selben Atemzug erklärte sie mir, dass ich die Alte gar nicht nötig hätte. Einen Tag später kam die Guardia Civil mit einem Jeep angefahren und ich dachte schon: „Ich glaube, jetzt bin ich dran. Ich habe sie kaltgemacht und nun kommen sie mich holen.“ Zu meinen Erstaunen saß Anna hinten drin, nackt. Sie trug lediglich ihre Unterhose und ein Polizist hatte ihr seine Jacke zum Überlegen geliehen, die sie wieder abgeben musste, total peinlich. Das Verrückte war, dass sie eine Schramme auf der Wange hatte, so wie ich am Bein. Die Guardia Civil hatte sie mit einem Hubschrauber in der Sierra Nevada gefunden, 100 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem ich aufgewacht war. Glücklicherweise lag zu dieser Jahreszeit kein Schnee in den Bergen.
Auf meine Frage, was passiert sei, schaute sie mich nur fragend an und sagte mir zögernd, dass auch sie sich an nichts mehr erinnern könnte. Und wo befanden sich ihre Kleider? Ich war der festen Meinung, dass alle wieder dachten, dass ich ihr das angetan hätte. Im Glauben, sie wollte mich zum Narren halten, nervte ich sie ununterbrochen und schrie sie sogar an: „Hör jetzt auf, verarsche mich nicht, das kann nicht sein! Egal was ich gemacht habe, ich bitte dich, sage es mir.“ Anfangs nahm ich an, sie wollte vor mir verbergen, dass ich eine Bestie bin, da ich selbst immer das Schlechteste von mir denke und ich brauchte ganz schön lange, um ihr zu glauben, dass sie nichts mehr wusste. Ich quälte sie und machte Psychoterror, wendete alle meine Tricks an, um die Wahrheit aus ihr heraus zu bekommen. Dazu breche ich keine Finger, das funktioniert viel diffiziler und derjenige ist schon hereingelegt, bevor er es überhaupt merkt und deswegen bin ich mir absolut sicher, dass sie keine Erinnerungen an den Vorfall besaß.
Ich weiß bis heute nicht, was mit uns geschehen ist. Bei dem Versuch eine Erklärung für diese Vorkommnisse zu finden, dachte ich unter anderem an militärische Experimente. Ich bemühte mich, mich an jedes Detail zu erinnern, das mir weiterhelfen könnte, verfolgte jede Spur zurück: „Warum war ich nackt? Welche für Ambitionen könnten dahinter stecken? Bin ich ein Exhibitionist?“ Um ein derartiges Verhalten erklären zu können, durchleuchtete ich mein ganzes Leben, aber nichts wollte richtig passen. Ich kalkulierte sogar mit ein, dass ich im Kindesalter immer meine Kleider zusammenlegen musste. Es kann sein, dass ich deswegen einen Knall weghatte und auf einmal anfing meine Kleider zusammenzugelegen.
Meine Spekulationen gingen in die Richtung, dass der Wein eventuell Meskalin enthalten haben könnte, aber das würde trotzdem nicht erklären, wie sie an einen 100 Kilometer entfernten Ort gelangt war und das ebenfalls nackt. Aufgrund meiner exzessiven Drogenerfahrungen hätte ich gewusst, wenn ich unter dem Einfluss irgendwelcher Drogen gestanden und dadurch das Bewusstsein verloren hätte, aber warum fuhr ich die 70 Kilometer, für die ich Benzin hatte, genau in die entgegengesetzte Richtung? Mein ganzes Leben frage ich mich nun schon: „Was ist da passiert?“, denn ich wurde danach auch unheimlich krank.
Die Bauern dort sind auf jede Traube angewiesen und ich weiß nicht, ob ich aufgrund der giftigen, gespritzten Weintrauben erkrankte. Ein Tourist starb im selben Zeitraum an Trauben, die er in einem Weinberg aß, aber das erfuhr ich wie immer erst im Nachhinein. Auch meine Verletzung am Bein wollte lange nicht heilen. Die Wunde, auf der sich ein schmieriger Film bildete, klaffte weit auseinander und sah aus wie ein in der Mitte auseinandergebrochener Granatapfel.
Damals besaß ich ein Kräuterbuch, mit dessen Hilfe ich mir antiseptische Pflanzen suchte, um meine Wunde zu behandeln, denn ein Krankenhaus konnte ich mir nicht leisten. Mir ging es nicht übermäßig schlecht, aber da der Zustand anhielt, überwand ich mich doch zu einem Krankenhausbesuch. Ein Arzt meinte zu mir, dass ich eine Erdallergie hätte und wollte mir eine Spritze geben, die ich, wie ich nun mal bin verweigerte: „Ich nehme von euch keine Spritze.“ Nach einer weiteren Woche ging es mir jedoch auch von alleine wieder besser.

1999 fing ich an mit Koks zu dealen. Reich wurde ich damit nicht, sondern konnte gerade meinen enormen Eigenkonsum finanzieren und meine Benzinrechnungen bezahlen. Bei meinem ständigen Fahrzwang ging alleine dafür ein kleines Vermögen drauf. Die Volkswirtschaft müsste mir eigentlich dankbar sein, aber davon redet kein Mensch, dass die „Kriminellen“ auch viel Geld in Umlauf bringen und die Wirtschaft so immens ankurbeln. Die Reichen sollten alle an die Wand gestellt werden, weil sich ihr Wohlstand auf Geiz und Sparsamkeit begründet. Hätte Geld ein Verfallsdatum, dann könnte es keiner horten und die Wirtschaft würde am Laufen bleiben.
Und wo fängt kriminell überhaupt an? Wie oft vermischt sich die High Society mit dem Zuhälter- und Drogenmilieu, wenn Schauspieler oder Moderatoren ihre Sucht nach Sex und Koks und ihre Profilneurosen befriedigen müssen? Der Unterschied ist, dass die Idioten 400 Mark für ein Gramm Koks zahlten, das ich vorher für 45 Mark einkaufte. Das ist Business.
Ich war zu einer Party beim Ferdinand, einem ungarischen Auswanderer, eingeladen. Trotz seiner bisexuellen Ader verstand ich mich sehr gut mit ihm und er stand total auf mich, nicht zuletzt, weil ich ihn mit dem Nötigen für seine Kokssucht versorgte. Nie lernte ich einen ehrlicheren Junkie kennen. Sein ganzes Geld ging für Drogen drauf und trotzdem bewunderte ich ihn, denn er war bereits seit 22 Jahren auf Heroin und sah trotzdem stets sehr gepflegt aus. Dahinter steckte kein großes Geheimnis, sondern seine Mutter stand immer hinter ihm und er wohnte bei ihr zu Hause. Des Geldes wegen hatte er eine Thailänderin geheiratet, die ihm allerdings nur Probleme machte, weswegen sie sich bald wieder trennten. Seine damalige Lebensgefährtin arbeitete als Anästhesie OP-Schwester und es bestand eine richtige Hassliebe zwischen den beiden. Da warf einer dem anderen böse Worte an den Kopf und am Ende wussten sie nicht einmal mehr, warum sie sich eigentlich stritten. Dieses traurige Schauspiel bekam ich öfter als Außenstehender mit, aber ich kenne das von mir nur zu gut.
Zu der Party hatten sie einige Freunde und Bekannte eingeladen, unter anderem einen Professor der Gynäkologie. Ein Typ fiel offensichtlich aus der Reihe, weil er nicht zu dieser sozialen Schicht passte, ein asozialer Vollalkoholiker, wie er sonst an Kiosken zu finden ist. Mitten drin saß ich mit meinen Depressionen, voll auf Koks. Oftmals dachte ich mir: „Wenn einer Doktor ist und einen Mercedes fährt, dann ist er wer.“ und die Leute, die mit Statussymbolen protzen, strahlen diese Einstellung auch aus. Dieses statusgeile Denken drängte sich mir geradezu auf, weil ich ein Mensch mit vielen Minderwertigkeitskomplexen bin und immer in allen etwas besseres sehe, als in mir selbst.
Wenn ich unsere Gesellschaft beobachte und das, was um mich herum geschieht, werde ich sehr oft depressiv, denn sobald ich in die Gesichter meiner Mitbürger schaue, bekomme ich Weinkrämpfe und würde mir am liebsten eine Kugel durchs Hirn jagen. Da ich extrem sensibel bin, glaube ich ständig das zu fühlen, was andere fühlen und das macht mich manchmal wahnsinnig, die sollen ihre Scheißgefühle für sich behalten. Blicke ich in die Köpfe anderer, werde ich meistens enttäuscht, weil ich ganz verkümmerte und traurige Menschen sehe, die eigentlich viel ärmer dran sind als ich. Leid tut mir daran, dass sie es nicht merken und von der Trostlosigkeit in ihren Herzen nichts mitbekommen.
Ferdinands große Leidenschaft war das Kochen und an dem Abend richteten wir zusammen ein schönes Buffet her, an dem alle fürstlich speisten. Danach legte ich 20 Gramm Koks auf den Tisch und beobachtete die Reaktion der anderen in ihren Gesichtern. Kein einziger machte einen erstaunten Eindruck, aber vielleicht lag das auch daran, dass sie vorher bereits angefangen hatten zu kiffen und Ecstasy-Pillen einzuwerfen, die ich ebenfalls mitgebracht hatte. Ich erzähle das hier ganz offen, denn Constantin Wecker kam auch mit einem Kilo Kokain für den Eigenbedarf durch, weil er große Partys schmiss. Dagegen sind meine 20 Gramm lächerlich, doch andere gingen schon in den Knast, weil sie zwei Gramm in der Kaffeedose aufbewahrten und der Richter meinte: „Da passen aber 400 Gramm rein.“ Einem Kumpel von mir passierte es tatsächlich, dass er deswegen von einem Kasseler Jugendrichter verurteilt wurde. Ich finde es traurig, wie manche Richter über Schicksale bestimmen und anderen Leid zufügen, nur um sich zu profilieren.
Mein erster Gedanke, als ich den Arzt sah, war: „Geil, ein beruflicher Fotzengrabscher.“ Er hatte sicherlich schon jede Frau angefasst, die er anfassen wollte und dafür empfand ich Respekt vor ihm. Er war, wie soll ich sagen, fachmännisch? Irgendwie kam er mir trotzdem komisch vor, ein bisschen wie ein Größenwahnsinniger, der gar nicht in dieser Welt lebte, sondern auf einer viel höheren Ebene. Ich reichte ihm den Joint rüber und sah ihm dabei zu, wie er daran zog und zog und zog. Zur Krönung überreichte ich ihm noch eine Ecstasy und puderte ihm zwei Gramm Koks durch die Nase. Am Ende brachte er kein vernünftiges Gespräch mehr zu Stande und konnte nur noch ja und nein sagen. Er glaubte, als Professor hätte er mit seiner Anwesenheit bereits genug getan und für seine Arroganz ließ ich ihn bezahlen, indem ich ihn auf diesen Trip schickte.
Auf einmal wurde mir erst bewusst: „Mein lieber Mann, das sind OP Ärzte!“ Ferdinands Freundin war schon seit 15 Jahren speedabhängig und nahm das Zeug auch im OP-Saal und wenn ich mir vorstellte, wie der Arzt am Montag nach so einer Party in den OP gerufen wurde, taten mir seine Patientinnen wirklich leid: „Oh Mann, wenn das die Weiber wüssten.“ Wahrscheinlich nahm er ihnen gleich die ganze Gebärmutter raus.
In solchen Momenten verlor ich meinen Glauben. Mich selbst hielt ich für den letzten Dreck und dann sah ich solche Leute, Ärzte oder auch Beamte, die in der Judikative oder Exekutive tätig waren, also Menschen mit wirklicher Verantwortung. Die einzige Verantwortung, die ich trage, ist nicht auszurasten, mir keine Pistole zu kaufen, damit in die Fußgängerzone zu laufen und einfach mal nebenbei 20 Leute umzulegen.
Die Party ging noch einige Zeit so weiter und irgendwann waren alle auf Drogen. Zu meiner Rechten saß eine Frau, die mir unablässig erzählte, dass ihr Mann sie schlug, was mir gleich verriet: „Die Alte kann ich jetzt ficken, wenn ich will.“ Das lag zweifellos in ihrer Absicht, aber ich war mit Christiane zusammen und meine Freundinnen betrüge ich nicht. Doch sie bequatschte mich unablässig und je mehr sie auf mich einredete, desto mehr ekelte ich mich vor ihr und je mehr ich mich ekelte, desto ernsthafter überlegte ich mir: „Ficke ich sie doch noch?“ Bald graute der Morgen, meine Depressionen wurden immer stärker und ich hatte keine Lust noch mehr Koks zu nehmen, weil ich noch Auto fahren musste und mich das mein Leben hätte kosten können.
Es war vier Uhr morgens und ich wollte nur noch alleine sein: „Überlass die Alte doch dem Maulhelden vom Kiosk.“ Die Jungs am Kiosk mit ihrer Flasche Binding Bier fühlen sich alle wie Könige, wenn sie ihre blöden Reden schwingen. Ach, was bin ich manchmal voller Hass, vor allem, wenn ich solche Typen sehe, die anderen Leuten den Schädel einschlagen, so wie damals beim dem Überfall, in den ich mit reingezogen wurde. Dabei sind sie eigentlich die Schwachen in unserer Gesellschaft, auf denen jeder gerne herumtritt.
Sehe ich die Dummheit anderer Menschen, staut sich in mir eine grenzenlose Wut auf und dann denke ich mir, die müssten alle ausgelöscht werden. Mein inneres Gewissen sagt mir jedoch: „Hey Alter, das ist nicht korrekt wie du jetzt redest.“ Ich habe mehr Verantwortungsbewusstsein als die Leute in der Gynäkologie, die koksen, weswegen ich auch jedes Mal um mein Leben fürchte, wenn ich ins Krankenhaus muss, weil ich weiß, dass sich diese überheblichen Penner auf ihrem Gott-Sein-Wahn befinden können. Ärzte glauben, sie stehen über den Dingen und deshalb entwickelt sich eine krankhafte Persönlichkeit bei ihnen. Sie werden zu Hunde fickenden Sodomiten, vergehen sich an kleinen Kindern oder fangen an Drogen zu nehmen.
Das sind weiß Gott keine Vorbilder, sondern Menschen wie du und ich, die sich zudem noch anmaßen, mit dem Finger auf den Junkie zu zeigen, der sich sein Heroin auf der Straße in die Vene pumpt. Währenddessen sitzt der feine Herr mit Anzug und Krawatte oben im Luxushotel und holt sein Heroin aus einem goldenen Etui. Ist er deswegen etwas besseres? Wer im goldenen Käfig aufgewachsen ist, hat den großen Vorteil, nicht in die Beschaffungskriminalität abzurutschen und kann es sich leisten, das Heroin durch die Nase zu ziehen. Aber das Ende ist für alle gleich, für den Edeljunkie wie für den armen Teufel, der in einer Coladose aufgekocht hat.
Viele Menschen stellen sich die Frage: „Geht es nach dem Tod weiter oder nicht?“ Das Leben ist lediglich das Abstellgleis zwischen Geburt und Tod. Die geistige Evolution erfolgt danach.
Sobald die Erde verseucht ist, weil wir alles vergiftet und die Wälder abgeholzt haben und uns die Luft zum Atmen fehlt, können wir nicht mehr als Menschen wiedergeboren werden. Dann überleben nur Spezies, vor denen wir uns normalerweise ekeln, wie Spinnen. Wir werden als unverwüstliche Spinnen reinkarniert, ohne jegliche Gefühle und ohne Seele, doch mit dem Verstand eines Menschen und mit dem Bewusstsein, was in den letzten Jahrtausenden geschah. In unseren Spinnenkörpern werden wir uns bekriegen, die roten Spinnen gegen die blauen Spinnen.
Wenn das so ist, dann will ich das letzte mal auf diese Welt geboren worden sein und lieber ins ewige Paradies. Davon reden alle Religionen, die Moslems wie die Christen. Die haben die Wahrheit schon lange erkannt, aber viele missbrauchen das Wort Gottes leider auch. Doch wird es im Paradies auch interessante Menschen geben? Wenn ich wüsste, dass der Tod wirklich das Ende ist und mein Geist niemals wieder auf diese Welt zurückkommt, dann würde ich mich sofort aufhängen, weil es hier nichts schönes gibt. Dieser Planet kotzt mich so an.

Du bist mein Bär und du bist schön, aber ich bin oft traurig.

Weil ich wissen wollte, wie die Geschichte mit der gedemütigten Ehefrau und dem Kiosktypen ausging, fragte ich später noch mal beim Ferdinand nach: „Und hat er die Alte gevögelt?“ „Ja klar hat er die gefickt.“ Die brauchte nur jemanden, um ihrem Mann hinterrücks die Schläge heimzuzahlen. Ich bin froh, dass ich die Finger von so einer gelassen habe, denn ich bin nicht die psychische Mülltonne für den Alltagsschrott anderer. Die wäre mit jedem ins Bett gegangen und das störte mich. Wenn ich eine Hure will, dann schreie ich zum Fenster raus und halte mein Ding hin, dann schnappen genug an. Die Mädels von heute mit ihren bauchnabelfreien Tops, versuchen sich alle zu profilieren, die narzistischen Weiber. Ich kenne das doch von mir selbst.

Die Gefühle, die mich überwältigten, als ich, bepackt mit einem Wäschebündel, meine Gefängniszelle in Rockenberg betrat, sind kaum mit Worten wiederzugeben. Mit 14 Jahren war ich der jüngste Häftling und wusste nicht, was mich tatsächlich erwartete. Vorher hatte ich bereits viele Horrorgeschichten gehört: „Hey Alter, wenn du in den Knast kommst, wirst du in den Arsch gefickt.“, doch davon blieb ich gottlob verschont, weil ich nicht nur den Vorteil besaß groß gewachsen und körperlich trainiert gewesen zu sein, sondern vor allem, weil mich die anderen als Irren wahrnahmen. Sie wussten, dass mir alles egal war und ich jeden getötet hätte, der mir zu nahe gekommen wäre.
Mein Verhalten hatte nichts mit dem mir gänzlich fehlendem Selbstvertrauen zu tun, vielmehr strahlte ich eine gefährliche und unberechenbare Kombination aus Furcht und Wahnsinn aus. Ich verhielt mich wie ein Hund, der aus Angst zubeißt, ein Angstbeißer. Dies bot mir jedoch keinen Schutz vor der sozialen Verrohung, der jeder Insasse einer Strafvollzugsanstalt zwangsläufig ausgesetzt ist.
Was ich im Gefängnis sehnlichst vermisste, war menschliche Nähe und Zuneigung, die von Herzen kommt. Ich wünschte mir nichts mehr, als dass mich einfach jemand in den Arm genommen und mir das Gefühl vermittelt hätte, gemocht zu werden. Diese unerfüllte Sehnsucht bereitete mir tiefe seelische Qualen. Hinzu kam der Schmerz über die Einsamkeit und die Tatsache, nicht einmal von der eigenen Mutter geliebt worden zu sein. Ich passte einfach nicht in ihr Familienbild und ihre Ablehnung mir gegenüber betrübt mich heute noch.
Ironischerweise stattete mir die einzigen Besuche meine Mutter ab, und das auch nur, damit sie ihrem Schuldbewusstsein Genüge tat: „Wenigstens mal den Bub besucht.“ Streng genommen brachte mich ihr Unverständnis für meine Situation erst in diese Lage und in Wahrheit stimmte sie der Umstand, mich eingesperrt zu sehen, froh. Mit der Gewissheit: „Ach, der ist im Gefängnis. Dort kann er nichts anstellen.“, konnte sie bestimmt das erste Mal seit langem ruhig schlafen.
Das einzige Mal, dass ich meine Freundin Carina zu Gesicht bekommen habe, war, als sie von Heinrich Fürsts Mutter in deren Wagen mitgenommen wurde. Die Beziehung zu mir brachte ihr nur Ärger mit ihren Eltern ein und zudem gab es in ihrem Heimatdorf keine öffentlichen Verkehrsmittel. Der Verlust war umso bitterer, als ich bald darauf einen Abschiedsbrief von ihr erhielt: „Ach Ricky, du musst verstehen, dass ich mich jetzt nicht einschließen und nur auf dich warten kann. Aber eines sollst du wissen, dass du in meinem Herzen für immer und ewig eingeschlossen bist und für mich etwas besonderes bleibst.“
Bis dahin galten alle meine Gedanken nur ihr und durch die Trennung zerbrach mein Herz entgültig, auch wenn vorher bereits innerlich für mich feststand, dass sie nicht zu mir halten würde. Dieser Brief blieb mir als einzige Erinnerung von ihr, und immer wenn ich daran roch, hoffte ich, dabei einen Hauch ihres Duftes auffangen zu können. Ich formte mein Kissen zu einem Kopf und stellte mir dabei Carina vor, doch mit der Zeit vergaß ich wie sie aussah, wie ich so manch anderes vergaß.
Ich versuchte all das gefasst hinzunehmen und trotzdem tat es unendlich weh, aber zum Selbstmord war ich zu feige. Es war das erste mal, dass ich mich richtig verliebt hatte, doch während sie hauptsächlich sexuelle Erfahrungen sammeln wollte, ging es mir mehr um das Zusammensein und darum geliebt zu werden. Als Jugendlicher erkannte ich nicht, dass Mädchen oftmals andere Vorstellungen hatten als ich. Deswegen sagt man, Liebe macht blind. Kaum jemand erkennt am Anfang einer Partnerschaft das vorherrschende Beziehungsmuster, das dahinter steckt, schon gar nicht in dem Alter. Das ist vielleicht auch ganz gut so, wenn keiner über den wahren Grund des Zusammenseins nachdenkt, sonst gäbe es mit Sicherheit mehr Singles.
Von Tag zu Tag verstärkten sich meine Depressionen und lähmten mich bis zu dem Maße, dass ich nicht ein mal mehr meine Zelle aufräumen konnte. Der Drang nach Freiheit wurde immer größer und das Eingesperrt sein unerträglich. Eine tiefe Traurigkeit beherrschte mich, und um sie zu verdrängen, fing ich an, mich immer öfter in der Embryostellung in mein Bett zu kauern und verstohlen zu onanieren. Da ich vorher noch nie richtigen Sex gehabt hatte, versuchte ich mir dabei vorzustellen, wie es wäre mit einer Frau zu schlafen. Dazu spuckte ich mir in die Hand und rief mir das Bild einer feuchten Muschi vor Augen, denn dieser Anblick war mir keineswegs fremd. Das Onanieren wurde zu einer richtigen Sucht, der ich mehrmals täglich nachging und diente nur dem einen Zweck, wenigstens etwas Schönes im Gefängnis zu haben. Jemanden wie mich würde ich als einen Frustrationswichser bezeichnen.
Es war eine unbeschreiblich grausame Zeit, da ich mich in der wichtigsten Phase meines Lebens befand. Geistig konnte man mich keinesfalls schon als vollständig entwickelt bezeichnen, denn ich verhielt mich noch immer unüberlegt und unbedarft wie ein kleines Kind. Meine Bedürfnisse glichen denen eines Sechsjährigen, doch ohne die Motivation für mein Handeln zu hinterfragen, steckten sie mich zu Schwerverbrechern und Mördern in den Knast, wo ich überleben und mich durchsetzen musste. Einige der wahnsinnigen Psychopathen mit denen ich zusammengesperrt wurde, hätten mir jederzeit nach dem Leben trachten können, weil sie bereits die Höchststrafe von zehn Jahren Jugendknast erhalten und damit nichts mehr zu verlieren hatten.
Mit Gefängnis half man mir kein bisschen weiter. Im Gegenteil, sie stahlen mir meine Jugend und fügten meiner Seele nur noch größeren Schaden zu, bohrten in ihr herum, schnitten sie in Stücke. Um mich herum herrschte emotionale Kälte, umgeben von Stacheldraht. Bei dem Thema, das mich nun schon mein ganzes Leben lang verfolgt, bleibt mir heute noch die Luft weg.
Der Jugendstrafvollzug bietet das gewalttätigste Umfeld, das man sich vorstellen kann, zumindest auf die Art, wie ich ihn erlebte. Die pubertierenden Insassen waren wie junge Hunde, die immerzu kämpften und dadurch wurde man gezwungen, sich stets aufs neue zu behaupten, ob man wollte oder nicht. Ich habe keine Überblick darüber, mit wie vielen Jugendlichen ich zusammen in diesem Käfig eingesperrt war, aber jeder einzelne hatte eine kranke Persönlichkeit und ich konnte mir die Leute nicht aussuchen, mit denen ich mich abgeben musste. Die einzige Alternative, um kein Neurotiker wie die anderen zu werden, wäre gewesen, sich vollständig zurückzuziehen, was jedoch ebenfalls zur Folge gehabt hätte mit großer Wahrscheinlichkeit einen psychischen Schaden zu erleiden.
Ich wählte den Weg, den ganzen Jugendknast zu durchleuchten, versuchte zu verstehen, wie jeder einzelne dort funktionierte und ob er nur so brutal wirkte oder wirklich gefährlich war. Dabei erkannte ich, dass alle nur Masken trugen und sich lediglich brutal gaben, um ihrem Ruf gerecht zu werden, aber genau das machte sie so gefährlich. Vor allem für Zigeuner gibt es nichts schlimmeres, als das Gesicht zu verlieren, das nagt an ihrem Stolz. Dieser falsche Stolz treibt Menschen dazu viele Fehler zu begehen, sogar jemanden umzubringen. Diese Feststellung löste anfangs nur Kopfschütteln bei mir aus, da ich begriff, wie dämlich diese Denkweise ist, aber andererseits fragte ich mich: „Sind diese Leute gewissenlos oder einfach nur krank? Gibt es da überhaupt einen Unterschied?“
Es standen die schlimmsten Schwerverbrecher vor mir, denen ich in die Augen blickte und ohne es zu merken, fing ich meistens direkt ein Gespräch mit ihnen an. Ich ging in ihre Köpfe und was ich dabei sah, waren nichts anderes als kleine Kinder, Lämmer. Sigmund Freud tat schließlich auch nichts anderes als ich und im Kinderheim hatte ich eine wunderbare Ausbildung zum Psychoanalytiker bekommen. Warum sollte auf diese Leute hier etwas anderes zutreffen, als ich es gelernt hatte, obgleich sich viele von ihnen bestimmt wunderten: „Was ist denn das für einer?“ Aber sie ließen mich in Ruhe, weil ich ihnen aufgrund der Tatsache unheimlich war, dass ich sagen konnte, wie sie fühlten und dachten, obwohl ich über mich selbst am allerwenigsten wusste. Leicht hätte es passieren könne, dass ich sie damit vor den Kopf gestoßen hätte und sie aggressiv geworden wären, doch in der Regel zeigten sie Respekt vor mir, da ich in ihren Augen sowohl die Rolle des Psychologen, als auch die des Psychopathen übernahm.
Als sensibler Mensch nahm ich ununterbrochen die in der Luft liegenden Aggressionen in mich auf. Ich bekam einige Fälle mit, bei denen Mitgefangene erniedrigt und zu sexuellen Handlungen genötigt wurden. Adam aus Haus A, gehörte ehemals der freiwilligen Feuerwehr an, doch er war ein kleiner Grisu und setzte selbst eine Turnhalle in Brand, um sie anschließend zu löschen. Auffälligerweise befand er sich als erster am Brandort. Ich frage mich, warum solche psychisch kranken Leute überhaupt ins Gefängnis kommen und nicht in Therapieeinrichtungen. Zudem besaß er homosexuelle Neigungen und einmal sah ich, wie er einen Jüngeren in der Dusche am Kehlkopf packte und ihm befahl: „Los, blas mir einen!“ Ich hätte viel zu viel Angst, dass mir das Ding abgebissen würde. Zur Sicherheit würde ich das Opfer zuerst mit ein paar Schlägen auf die Schläfe bewusstlos schlagen, aber Kerle erregen mich sexuell sowieso nicht.
Die feindselige Umwelt wirkte sich zusehends negativ auf meine Phantasien beim Onanieren aus. Alles lief sehr zärtlich ab und völlig normale Gedanken zierten meine Phantasien, bis ich den irren Zigeuner traf, der einen nicht wieder gut zu machenden Schaden bei mir anrichtete. Das war ein richtiger kleiner Teufel. Er sah ganz gut aus, hatte dunkle Haut und schwarze Haare und am Auge eine Knastträne tätowiert. Wir arbeiteten eine Zeit lang zusammen und drehten für Elektroteile Kohle in Federn ein, wobei wir uns nebenher hauptsächlich über Sex unterhielten. Von dieser Fitzelarbeit bekam ich jedes mal schwarze Finger und sah danach aus, als hätte ich mich ewig nicht mehr gewaschen.
Der war völlig irre und meinte zu mir: „Weißt du, was das geilste ist? Ich würde gerne eine Alte ficken, ihr dabei ein Messer in den Hals rammen und zusehen, wie das Blut herausspritzt, während ich den Todeskrampf in ihrer Fotze am Schwanz spüre.“ Er sprach unablässig von seinen kranken Vorstellungen, wie einer Frau in den Arsch zu ficken und ihr dabei die Augen auszustechen. Mehrmals versuchte ich hinter seine Fassade zu blicken und überlegte mir: „Was ist das für ein Tier?“, doch je mehr Tage vergingen, an denen ich mir das anhören musste, umso stärker spürte ich, wie sein Trieb auf mich überging. Irgendwann fing ich selbst an seine Phantasien in meinem Kopf nachzuspinnen, während ich mir einen runterholte, weil ich unbedingt wissen wollte: „Warum diese Gewalt?“
Mit der Phantasie, meine eigene Mutter zu vögeln, fing alles an. Ekelhaft, aber es ist die Wahrheit. In meinen Gedanken unterzog ich mich allen erdenklichen Perversionen. Das war wie eine Sucht, von der ich mich nicht lösen konnte und von Mal zu Mal spann ich meine Geschichten weiter, suchte neue Extreme. Mein Trieb, diese unkontrollierte Geilheit, brachte mich dazu auszuloten, wie weit ich in meinen sexuellen Vorstellungen gehen würde. Es ist ungefähr mit dem Verlangen vergleichbar, das frisch verliebte Partner verspüren, wenn sie beim Sex vor lauter Geilheit hemmungslos übereinander herfallen. Hat man aber noch nie mit einer Frau geschlafen, sucht man dieses Gefühl beim Onanieren zu finden. Ich stellte mir alles vor, Blonde, Brünette, Rothaarige, hübsche und hässliche Frauen, selbst meine Oma und meine Tante blieben nicht verschont. Mitunter fickte ich auch eine richtig ekelhafte Fette, die unter ihren speckigen Hautfalten schon braune Flecken hatte.
Wann immer ich mich ins Bett legte, um meinen Frust und meinen Schmerz wegzuwichsen, wurden meine Ausführungen krasser und ich begann das ganze auch auf Gewaltphantasien auszudehnen, in denen ich keine Grenzen mehr kannte. Reichte es mir anfangs aus, den Frauen nur den Hals zuzudrücken und sie dabei heftig zu ficken, musste ich sie bald töten, um überhaupt noch erregt zu werden.
Ich malte mir lebhaft aus, wie ich sie aufschlitzte, ihnen die Augen ausstach oder den Kopf mit einem Hammer einschlug. Weil mich diese Bilder erregten, dachte ich mir ständig neue Szenarien aus, bis hin zum Kannibalismus, indem ich meinen Opfern Stücke ihres Fleisches herausbiss. Ich verstand nicht, warum ich solche Gedanken hatte und sobald ich irgendjemandem gegenüber auch nur ein Wort darüber verloren hätte, wäre ich für den Rest meines Lebens als potentieller Triebtäter gezeichnet gewesen.
Das Gefängnis veränderte mich, weil ich mein ganzes Umfeld in mich aufnahm, die ganze Gewalt, die von den anderen ausging. Diese Aggressionen mussten irgendwo hin, weswegen mich auch meine starken Schuldgefühle „Gott, was ist das? Warum machst du so etwas?“ nicht davon abhalten konnten, dieses zwanghafte und andauernde Onanieren als Ablassventil zu benutzen. Es spielte sich immer gleich ab. Ich wichste mir einen und unmittelbar danach widerten mich meine Vorstellungen dermaßen an, dass ich mich manchmal übergeben musste – sozusagen kam es mir gleich zweimal. Was ich damals noch nicht wusste war, dass sich diese Gewalt gegen meine Mutter richtete, um zu ertragen, dass sie mir so weh getan hatte und aus dem Grund, musste ich meine Aggressionen gegenüber Frauen abbauen. Da ich alle Frauen mit meiner Mutter gleichsetzte und glaubte, sie würden mich ebenfalls im Stich lassen, erzeugten sie unbewusst Aggressionen in mir.
Begünstigt wurden meine bestialischer Ideenreichtum noch dadurch, dass viele Sozialarbeiterinnen in der Jugendstrafanstalt ihren Dienst verrichteten. Macht sich die Justiz überhaupt Gedanken über die Konsequenzen, wenn Frauen in kurzen Röcken unter pubertierenden Jugendlichen herumlaufen? Das sind junge Menschen mit einem fehlgeleiteten Sozialverhalten, aus dem sich zwangsläufig auch ein gestörtes Sexualverhalten entwickelt.
Meine sogenannten Straftaten basierten auf einem krankhaften Verhalten, doch ich kam in keine Therapieeinrichtung, sondern in den Knast, zu Leuten, die weitaus gestörter waren als ich und dazu auf eine gefährlichere Weise. Ich lebte mit der ständigen Angst ebenfalls ein mein Leben lang aus dem Blechnapf essen zu müssen, aber ich setzte meine Phantasien nicht in die Realität um und Gedanken sind zum Glück frei. Soll ich bereits dafür verurteilt werden? Mein schlechtes Gewissen plagte mich schon genug, und weil ich ein ehrlicher Mensch bin, rede ich darüber, obwohl meine Vorstellungen eigentlich niemanden etwas angehen. Offen über seine sexuellen Phantasien zu reden ist der Grundstein dafür, deren ungezügelten Ausbruch zu verhindern. Das Volk schreit nach Lösungen, wenn es um Sexualstraftäter geht. Frauen werden aufgeschlitzt, Kinder vergewaltigt und alle jammern. Dabei muss die Gesellschaft zuallererst lernen, nachzuvollziehen, warum diese Verbrechen geschehen.
Es mag zwar richtig sein, wenn Politiker behaupten, dass die Mehrzahl der Triebtäter oft durch andere Delikten auffällig werden, aber eines bedenken sie dabei nicht. Erst die deutschen Justizvollzugsanstalten bringen diese Sexualstraftäter hervor, weil sie straffällig gewordene Jugendliche in ihren Zellen dahinvegetieren lassen. Um mich kümmerte sich niemand und wenn ich mich nicht so gut unter Kontrolle hätte, stünde vielleicht auch in meiner Akte ein Eintrag über ein derartiges Verbrechen. Wer weiß wie es aussähe, wenn ich klein, hässlich und fett wäre und später keine Frauen abbekommen hätte? Deswegen kann ich behaupten: „Diese Menschen sind der Spiegel der Gesellschaft.“
Im Gefängnis lernte ich, warum Menschen zu Vergewaltigern werden. Neben mir in der Zelle saß ein Frauenmörder, mit dem ich mich öfter unterhielt, weil ich wissen wollte, ob ich werden würde wie er. Jahrelang lebte ich mit dieser Befürchtung, denn bei diesen Leuten verhält es sich ähnlich wie mit meinen Gewaltphantasien. Sobald ich abgespritzt hatte, war ich wie ausgewechselt, wie eine andere Person und die Abscheu vor mir selbst so groß, dass ich mich nicht mehr im Spiegel betrachten konnte. Das kam mir richtig schizophren vor und zuweilen überfiel mich ganz schön die Angst. Diese Täter durchleben im Prinzip das selbe wie ich. Aus ihrem Trieb heraus verüben sie Verbrechen und hinterher tut es ihnen leid. Zumindest würde es mir leid tun, wenn ich auf meine Erfahrung beim Wichsen zurückblicke. Diese Parallelen sind auch der Grund, warum ich so vorsichtig mit Äußerung bezüglich meiner Phantasien bin.
Sobald ein Triebtäter eine Frau mit 1000 Messerstichen niedergemetzelt und dadurch seine Befriedigung erfahren hat, leidet er zwangsläufig, weil ihm seine Tat bewusst wird. Er kann sich aber auch nicht an die Polizei wenden und sagen: „Mir ist da etwas passiert. Ich habe gerade jemanden abgestochen, aber es kommt nicht wieder vor.“ Ich stelle mir das total schlimm vor, das muss der Horror schlechthin sein. Bei Serientriebtätern wird das vorher Geschehene immer wieder verdrängt, der Trieb kommt abermals in ihnen hoch und sie töten von neuem. Damit sie gestellt werden, begehen sie unbewusst Fehler.
Mit dem Thema habe ich mich viel beschäftigt, weil ich versuchte alles zu verstehen, wovor ich mich fürchtete und im Gefängnis hatte ich viel Angst. Dort ging es oft heftig zur Sache, und um nicht unterzugehen, musste ich versuchen die Gewohnheiten der anderen zu verstehen. Also versetzte ich mich in diese Menschen hinein, aber das heißt nicht, dass ich dieselben Taten begehen würde, ich vollzog sie einfach in meiner Phantasie nach. Die Gewaltphantasien, die sie in der Realität ausgelebt hatten, projizierte ich auf mein Wichsverhalten, um meine angestauten Aggressionen wegzuwichsen und irgendwie hat mich das angetörnt. Ja, dafür schäme und hasse ich mich, auch wenn ich die reale Umsetzung dieser Phantasien verhindern konnte, da ich große Angst vor den Konsequenzen hatte.
Durch meine Studien weiß ich inzwischen sehr genau, wie diese Täter denken und fühlen. Den Unterschied zwischen ihnen und mir, den ich feststellte ist, dass sie sich niemals in die Rolle des Opfers hineinversetzen und dementsprechend nicht deren Leid nachvollziehen. Darum verspüren sie im Moment der Tat kein Schuldempfinden. Ich bin ein Mensch, der schon viele Grenzen überschritten hat und ich fragte mich deshalb oft, ob ich auch nur einen Schritt davor stehe. Das Potential trage ich womöglich in mir, mein Vorteil war es jedoch, dass sich mir viele Frauen anboten, die mich attraktiv fanden. Viele Male sah ich die Taten solcher Leute im Fernsehen und musste mir eingestehen: „Diese Phantasien kenne ich auch.“ Dann überfiel mich wieder die Sorge, ob es mich aus eines Tagen überkommen würde. Geholfen hat mir vor allem, dass ich irgendwann mit Hilde darüber redete und sie meine Bedenken zerstreuen konnte. Heute bin ich froh darüber, schon ein gewisses Alter erreicht zu haben, in dem man nicht mehr ausschließlich seinen Hormonen unterliegt.
Wichtig wäre es staatliche Stellen einzurichten, an die sich Leute mit solchen Phantasien wenden können. Es gibt bestimmt nicht wenige, die sich melden würden, denn wer traut sich schon offen darüber zu reden? Niemand, und deswegen leben diese Leute irgendwann ihre Phantasien aus. Sie werden immer bestialischer, bis ihnen die moderne Kriminologie Einhalt gebietet und sie erlöst.

In den Mittagspausen holten wir uns Heroin bei einem kleinen Marokkaner, der jedes mal um mich herumtänzelte und mich auf meine Uniform vom Sicherheitsdienst ansprach: „Alter, du siehst aus wie ein Bulle.“ Um aus ihm herauszukitzeln, worauf er eigentlich hinauswollte, antwortete ich ihm meistens nur mit einem knappen: „Ja und?“ Dieses Spiel wiederholte sich mehrere Male bis er schließlich die Katze aus dem Sack ließ: „Ich habe eine Idee. Lass uns zusammen ein Ding drehen.“ Da ich immer ein offenes Ohr für Geschäfte habe, meinte ich: „Ja erzähl mal.“ Sein Plan war, einen Deal für ein Kilo Heroin und ein Kilo Kokain zu organisieren, bei dem ich mich als Polizist ausgeben und den Verkäufern das Zeug abnehmen sollte. Weil mir dieses Vorhaben jedoch viel zu gefährlich erschien, lehnte ich sein Angebot ab: „Bist du irre? Lass mich in Ruhe mit dem Scheiß.“
Fortan trug er mir bei unseren Wiedersehen unablässig seine „Geschäftsidee“ vor und bald hatten er und das Heroin mich so weit, dass ich einwilligte. Inzwischen war mein Konsum abermals auf zwei Gramm am Tag gestiegen und als ich seinem Plan zustimmte war ich gerade wieder richtig gut drauf. Die Entscheidung fiel mir umso leichter, da ich im folgenden Monat mein Führungszeugnis bei der Sicherheitsfirma hätte vorlegen müssen und mir mit den bis dato angesammelten 13 Eintragungen gekündigt worden wäre.
Zum Glück gibt es heute Substitutionsmittel wie Subutex und langsam lerne ich mit solchen Alternativen umzugehen. Einen der größten Fehler in der Drogenpolitik beging der Staat hingegen mit den Methadonprogrammen, denn dadurch mutierte der Großteil der Szene zu Crackrauchern. Die Ursache dafür liegt darin, dass alle Junkies, die Methadon bekommen nicht mehr unter Entzug leiden und sich stattdessen auf die Suche nach Cracksteinen machen: „Stein, Stein, Stein!“ Alleine durch die Tatsache, dass sie substituiert werden, ändert sich wenig, da sie außer dem typischen Szeneverhalten, das ihnen oftmals von klein an vertraut ist, und dem alten Freundeskreis, der weiterhin existiert, nichts kennen.
Das ist eine rein soziologische Angelegenheit und es ist nur natürlich, dass der Kontakt zu ihrer alten Welt bestehen bleibt. Dadurch legen sie selbstverständlich weiterhin ihre vertrauten Gewohnheiten an den Tag. Sie bringen letztendlich auch nichts anderes zustande, als auf die verschiedensten Arten Geld aufzutreiben, das sie anschließend in ihren Drogenkonsum investieren. Fließt die Kohle nicht mehr in Heroin, dann eben in Crack, obwohl das Zeug mehr Menschen zugrunde richtet, als das Heroin vorher, denn diese Droge stürzt jeden in den finanziellen Ruin. Drückt man einem Crack-Junkie morgens 5000 Euro in die Hand, ist das Geld abends weg. Und wer verdient sich damit in Frankfurt dumm und dämlich? Die Marokkaner.
Der Spur des Geldes folgend, suchte ich also nach meinem Entschluss den Marokkaner und bat ihn, mir erst mal einen Beutel Heroin zu geben. Die drei Gramm, die er mir aushändigte brauchte ich, um zunächst wieder fit im Kopf zu werden. Danach trug ich ihm auf, seinen geplanten Deal zu arrangieren und später nochmals einen Beutel Heroin mitzubringen, damit ich überhaupt in der Lage sein würde das Ding mit ihm durchzuziehen. An diesem Abend dröhnte ich mich richtig zu, um so wenig wie möglich von dem Deal mitzubekommen. Damit ich meine Angst einigermaßen unter Kontrolle bekam, wanderte ein ganzes Gramm auf einmal in meine Nase, bis nichts mehr rein ging. Teilweise fiel mir das Zeug sogar wieder aus den Nasenlöchern heraus, doch schließlich sollte ich ein paar Dealer abrippen, die mal eben zwei Kilo mit sich herumtrugen, was darauf hindeutete, dass diese Leute nicht ungefährlich sein würden.
Nachdem der Marokkaner einen Termin vereinbart hatte, rief er mich an. Das ganze spielte sich im Januar 1993 ab und zu der Zeit besaß ich kein Auto, so dass wir zusammen mit der Straßenbahn zum Treffpunkt nach Niederrad fuhren, wo wir über eine Stunde vergeblich auf die Mittelsmänner warteten. Während er sich telefonisch nach dem Grund ihres Wegbleibens erkundigte, harrte ich in einer Kneipe aus. Von Zeit zu Zeit verschwand ich in die Toilette, um mir mehr Heroin in die Nase zu ziehen, damit ich auf dem Level blieb, auf dem mir alles egal war. Ich hatte nicht eine einzige Mark einstecken und die Typen, die kommen sollten, würden bald 160.000 Mark von mir verlangen. Schließlich fand sich auch mein Partner in dem Wirtshaus ein und teilte mir mit, dass sie uns zur Uniklinik direkt gegenüber der Kinderpsychiatrie bestellt hatten. Hinter dem riesigen Gebäudekomplex gab es eine große Wiese und einen nahe gelegen Wald, wo gewöhnlich niemand umherlief, schon gar nicht nachts. Dort hielten wir im Schutze der Dunkelheit Ausschau nach verdächtigen Personen.
Um alles echt aussehen zu lassen, trug ich eine Pistole und ein Funkgerät bei mir, das wie beim Polizeifunk auf Knopfdruck ein „Tütütltütüt“ von sich gab. Wenn Kriminelle das hören, wissen sie sofort Bescheid und sind wie gelähmt. Meinem Komplizen überließ ich für den Fall der Fälle eine mit Platzpatronen geladene Smith & Wesson. Vor Ort sprachen wir nochmals durch, wie alles über die Bühne gehen sollte und bald darauf erschien auch schon eine der beiden Kontaktpersonen. Bei deren Eintreffen war ich vom Heroin bereits total zu, sonst hätte ich mich niemals getraut das durchzuziehen. Nach einer kurzen Begrüßung verschwand mein Kompagnon, um mit dem zweiten Dealer das Geschäft klar zu machen. Bei den zwei Fremden handelte es sich ebenfalls um Marokkaner, die jedoch vornehm gekleidet waren wie Geschäftsmänner. Sie selbst fassten das Zeug offensichtlich nicht an und waren demnach nicht abhängig, wie es bei professionellen Geschäftsleuten der Fall sein sollte.
Noch bevor ich die Ware gesehen hatte, fragte mich der bei mir gebliebene plötzlich: „Wo ist denn das Geld?“ „Scheiße, ich habe kein Geld.“ schoss es mir durch den Kopf, aber zum Glück schaltete ich schnell: „Nee, nee, kommt Jungs ich mache mit euch kein Geschäft mehr. Ihr seid 1, 2, 3 Marokkaner, ich bin ein Deutscher, ihr wollt mich doch abrippen.“ Dabei vollführte ich abwehrende Gesten und forderte ihn auf, nicht näher zu kommen, damit er dachte, ich hätte Geld dabei und Angst vor ihm.
Zu meiner Rettung tauchte im nächsten Augenblick hinter mir mein Partner aus einem Gebüsch und spielte gleich mit. Sein Begleiter hielt zwei mit Paketklebeband umwickelte Päckchen in der Hand, mit denen er auf mich zukam und versuchte mich zu beschwichtigen: „Beruhige dich, beruhige dich, keine Angst. Hier ist das Zeug.“ Er wollte mir die Packen überreichen, doch da ich beide Hände frei behalten musste, deutete ich auf meinen Kumpel und meinte: „Nein, ich traue euch nicht mehr, gib das ihm.“ Er sollte die Päckchen aufmachen und die Ware kontrollieren, so dass ich alles sehen konnte.
In dem Moment zog ich die Pistole und das Funkgerät heraus und drückte auf den Knopf des Walky Talkys: „Tütltütüt“ Ich zielte mit der Pistole auf einen der beiden Unbekannten und rief: „Hände hoch, Polizei!“ Während der Bedrohte noch vor mir herumhampelte, weil er nicht wusste, was er tun sollte, machte sich sein Freund schon aus dem Staub. Ausgemacht war, dass mein Kumpel ebenfalls in dem Augenblick mit den Paketen losrennen sollte, in dem ich meinen Spruch aufsagte. Als ich in die Luft schoss, nahm er tatsächlich die Beine in die Hand und ich schrie ihm hinterher: „Junge, es hat doch keinen Sinn, bleib stehen, wir kriegen dich ja sowieso.“ Ich versuchte, mich wie ein echter Polizist zu verhalten, was mir ganz gut gelang, da ich ähnliche Szenarien schon zur Genüge erlebt hatte. Trotzdem schlug mir mein Herz in der Aufregung bis zum Hals, als ich meine Kompagnon verfolgte, um seine Verhaftung zu inszenieren.
Irgendwann holte ich ihn ein und er fiel vor Erschöpfung mit den Päckchen zu Boden. Durch den langen Sprint über die riesige Wiese in Richtung Main, wo sich die Straßenbahnhaltestelle befand, waren wir beide völlig außer Atem. Wegen des abgegebenen Schusses, hatte er sich richtig in das Spiel hineingesteigert und geglaubte, ich würde ihn abknallen und die Drogen für mich behalten. Bei meiner Waffe handelte sich um den täuschend echt aussehenden Nachbau einer Polizeipistole, deren Lauf aber vorne zu war. Seine Pistole warf er hingegen von sich und flehte mich völlig hysterisch an: „Schieß nicht, schieß nicht, lass mich am Leben. Du kannst alles haben, ich will gar nichts davon.“
Natürlich wollte ich ihn nicht über den Tisch ziehen, aber zum eigenen Schutz ließ ich ihn vorerst in dem Glauben, dass die Pistole scharf wäre, die ich bei mir trug. So jemandem konnte ich nicht trauen, selbst wenn ich Geschäfte mit ihm machte. Ich beugte mich gerade mit ausgestrecktem Arm zu ihm hinunter, um ihm beim Aufstehen zu helfen, als durch das viele Heroin Übelkeit in mir aufstieg und ich mich genau neben ihm übergeben musste.
Als ich mich wieder ein wenig erholt hatte, meinte ich zu ihm: „Komm steh auf, wir teilen. Das ist okay.“ Schließlich brauchte ich ihn noch, denn er hatte schon einen Käufer für die Ware organisiert, was auch gut so war, weil ich mich dadurch um nichts mehr kümmern musste. Ich zog diesen Ripp nur ab, weil ich wieder nach Spanien zurück wollte und dafür dringend Geld benötigte. Meine Aufgabe bestand lediglich darin die Pistole zu halten und einen Spruch zu bringen, aus dem Verkauf hielt er mich heraus. Natürlich nahm ich mir ein bisschen von dem Zeug und puderte mir damit gut die Nase, aber das brachte mir auch kein Glück. Gleich danach hörte ich bei der Sicherheitsfirma auf, weil ich erst mal genug Geld besaß und ich mir dachte: „Jetzt hast du ein bisschen Geld und kannst wieder nach Spanien gehen und dir dort etwas aufbauen.“ Doch das war eine Illusion, denn bei einem Mal bleibt es meistens nie.



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